Schmuck

„Lerne von der Orientmuschel zu lieben den Feind.
Und fülle mit Perlen die Wunden, über die du geweint.“
(Hafez, persischer Dichter, 1315-1390)

Schmuck zu tragen, sich zu schmücken, ist eine der ältesten Arten der  Selbstvergewisserung des Menschen. Durchbohrte Schneckengehäuse und Muscheln, Pflanzen, Tierteile, Steine, teils gefärbt mit Ocker, Ruß oder Asche, dienten als die frühesten Materialien der Schmuckanfertigung. Ganz nahe am Körper getragen und dennoch sichtbar nach außen, haben Schmuckstücke eine privat-persönliche Seite, eine zur Schau gestellte öffentliche und gelegentlich auch eine, die niemand sieht. Das unterscheidet Schmuck von der Münze, dem bloßen Geldwert, der nur zwei Seiten hat, Haben oder Nichthaben. Zum reinen Materialwert tritt beim Schmuck der kreative Gedanke, die Kunst, die handwerkliche Präzision.

Und der Mythos

Schmuck ist Geheimsprache und universale Sprache zugleich. Er gibt Auskunft über diejenigen, die ihn besitzen und tragen, über Status und Zugehörigkeit zu einer Kultur, Gruppe, Weltanschauung. Er kann Symbol und Statement sein, Lebensversicherung, Liebesbeweis oder modischer Akzent.

In vielen Kulturen wurden und werden Amulette, besondere Steine und bestimmte Farben in Schmuckstücken zum Schutz vor Gefahr und Unheil getragen, zur Abwehr des bösen Blicks. Korallen und Bernsteine sollen Kinder und Babys schützen, Mondsteine Frauen in den Wechseljahren.

Auch soll es nützlich sein, einen Achat zur Mehrung des Verstandes zu tragen. Grüne Edelsteine haben, so heißt es, entgiftende Wirkung. Rote Rubine gelten als Steine des Lebens und beugten im Mittelalter gegen den Schlaganfall vor.

Schmücken hilft.

Gold, Edelsteine, Scherben

Die lange Geschichte des Schmucks kennt viele Gesichter, Häupter, Dekolletés. Sie kennt Stammesfürsten, Könige, Moguln und Schahs, Edelfrauen und Prinzessinnen, gepiercte Punks, machtvolle Ringe, geraubte Juwelen. Im pharaonischen Ägypten betrachtete man die Farbe von Gold als die Farbe der Unsterblichen, Fleisch der Götter. Korallen hielt man in der griechischen Antike für das versteinerte Blut der furchteinflößenden Medusa und echte Perlen für Tautropfen, die in geöffnete Austern gefallen waren.

Erst Anfang des 17. Jahrhunderts wurde das Rätsel der Perlenbildung in Portugal gelöst. Dreihundert Jahre später kamen die ersten Zuchtperlen auf den Markt. Heute droht die Verunreinigung der Meere das Geschäft mit den Perlen aus klarstem Wasser, wie sie in der persischen Dichtung besungen wurden, zu stören.

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zeigten die europäischen Schmuckschaffenden des Jugendstil eine Vorliebe für Glas und alltäglichere Stoffe, beispielsweise Horn. Sie stellten die bis dahin in weiten Teilen der Welt vorherrschende Ansicht, wonach Gold, Silber und seltene Steine, Diamanten, Smaragde, Opale, Saphire, Türkise, Topase, Rubine oder eben Perlen für hochwertigen Schmuck unverzichtbar seien, infrage. Das Entwerfen und Gestalten von Schmuck wandelte sich vom Handwerk und Kunsthandwerk zu einer Ausdrucksweise autonomer Kunst.

Schätze, Unschätzbares

In einer Eigenheit behauptet sich der Schmuck über alle Moden und Zeiten hinweg: Er will getragen werden. Und jedes Schmuckstück, das getragen wird, hat eine Dimension, die sich der Goldwaage entzieht. Schmuck kann Erinnerungen bergen und Gefühle, historische Ereignisse bezeugen oder viele Male im Prozess des Einschmelzens und Umarbeitens der Chronologie der Zeit entzogen worden sein. Er wandert oft von einer Hand zur anderen, wird vererbt, verschenkt, versetzt, gestohlen oder geht verloren. Ständig wird er umher getragen, an Fingern, Ohren, Handgelenken, vor der Brust. So bleibt selbst das Armband aus dem Kaugummiautomaten noch vom nomadischen Geist unserer frühesten Vorfahren beseelt. Im Wort schmücken stecken etymologisch mehrere alte Worte, eines für heimlich naschen, eines für Umarmung, eines für schmiegen und eins für sich köstlich kleiden.­